Kind redet im Unterricht dazwischen – Ursachen und Lösungen
Der Lehrer erklärt etwas, und dein Kind platzt rein. Ständig. Die Beschwerden häufen sich, und du fragst dich: Warum kann mein Kind nicht einfach warten? Dazwischenreden ist ein häufiges Problem – und meistens keine böse Absicht.
In diesem Artikel erfährst du:
- 1Warum Kinder dazwischenreden (und dass es oft keine Absicht ist)
- 2Die Rolle von Impulskontrolle und Entwicklung
- 3Wann Dazwischenreden auf ADHS hindeuten kann
- 4Die 4 Erziehungsstile und ihr Umgang damit
- 5Konkrete Strategien, um die Impulskontrolle zu stärken
- 6Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Warum reden Kinder dazwischen?
1. Mangelnde Impulskontrolle:
Bei jüngeren Kindern ist die Impulskontrolle noch nicht ausgereift. Sie haben einen Gedanken und sprechen ihn sofort aus, bevor sie nachdenken können.
2. Aufregung und Enthusiasmus:
Das Kind ist so aufgeregt über einen Gedanken oder eine Antwort, dass es nicht warten kann. Das ist eigentlich positiv – Begeisterung fürs Lernen!
3. Aufmerksamkeitsbedürfnis:
Manche Kinder suchen Aufmerksamkeit und haben gelernt, dass Dazwischenreden sie bekommen lässt – auch wenn es negative Aufmerksamkeit ist.
4. ADHS:
Bei Kindern mit ADHS ist die Impulskontrolle neurobiologisch eingeschränkt. Sie können oft wirklich nicht warten, auch wenn sie es wollen.
5. Langeweile:
Wenn das Kind unterfordert ist, sucht es sich Stimulation – zum Beispiel durch Reinreden.
6. Nicht verstehen der Regeln:
Manche Kinder haben die sozialen Regeln des Klassenzimmers noch nicht verinnerlicht.
7. Modelllernen:
Wenn zu Hause oft durcheinandergeredet wird, ist das Kind es gewöhnt.
Entwicklung der Impulskontrolle
Die Impulskontrolle entwickelt sich über Jahre und ist erst im jungen Erwachsenenalter vollständig ausgereift. Der präfrontale Kortex, zuständig für Selbstkontrolle, ist bei Kindern noch nicht fertig entwickelt. Das bedeutet: Jüngere Kinder können Impulse wirklich schlechter kontrollieren – es ist nicht immer böser Wille oder schlechte Erziehung.
Unterschiedliche Perspektiven
Kind und Eltern erleben die Situation unterschiedlich:
Dein Kind erlebt:
- Ich hatte so eine gute Idee, die musste ich sagen!
- Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich reingerufen habe
- Ich kann einfach nicht warten – es ist so schwer!
- Der Lehrer ist immer sauer auf mich
- Ich will mich melden, aber es rutscht mir einfach raus
- Die anderen denken bestimmt, ich bin nervig
Du als Elternteil erlebst:
- Schon wieder eine Beschwerde vom Lehrer
- Warum kann mein Kind nicht einfach warten?
- Ich habe es doch schon tausendmal gesagt
- Ist das normal oder ein Problem?
- Ich schäme mich fast für mein Kind
- Wie bringe ich ihm Selbstkontrolle bei?
💡Dazwischenreden ist selten böse Absicht. Bei jüngeren Kindern ist es entwicklungsbedingt normal. Bei älteren Kindern kann es auf ADHS oder andere Schwierigkeiten hindeuten. In beiden Fällen braucht das Kind Unterstützung, keine Vorwürfe.
Wann deutet Dazwischenreden auf ADHS hin?
Mögliche ADHS-Anzeichen (Impulsivitäts-Typ):
- Platzt regelmäßig mit Antworten heraus, bevor Fragen zu Ende gestellt sind
- Kann schwer warten, bis es an der Reihe ist
- Unterbricht oder stört andere häufig
- Handelt oft, ohne nachzudenken
- Ist ungeduldig
Weitere ADHS-Kernsymptome:
- Unaufmerksamkeit (leicht ablenkbar, vergesslich, Flüchtigkeitsfehler)
- Hyperaktivität (kann nicht stillsitzen, immer in Bewegung)
Wichtig:
- Die Symptome müssen in mehreren Lebensbereichen auftreten (Schule UND zu Hause)
- Sie müssen über längere Zeit bestehen (mindestens 6 Monate)
- Sie müssen deutlich stärker sein als bei Gleichaltrigen
Wenn du ADHS vermutest: Diagnostik beim Kinderarzt, SPZ oder Kinder- und Jugendpsychiater. ADHS ist keine Erziehungssache und gut behandelbar.
Typische Elternfehler
Diese Reaktionen sind nachvollziehbar, aber oft kontraproduktiv:
- ✗Schimpfen nach der Schule: Das Kind kann die Verbindung zum Vorfall nicht mehr herstellen
- ✗Ständig ermahnen: 'Red nicht dazwischen!' – Hilft nicht bei echten Impulsproblemen
- ✗Beschämen: 'Warum kannst du dich nicht benehmen?' – Beschädigt das Selbstwertgefühl
- ✗Vergleichen: 'Andere Kinder schaffen das auch!' – Hilft nicht
- ✗Ignorieren: In der Hoffnung, dass es von allein aufhört
- ✗Überkontrollieren: Dem Kind keine Chance geben, es selbst zu lernen
Wie die 4 Erziehungsstile damit umgehen
Der Erziehungsstil beeinflusst, wie Eltern auf das Verhalten reagieren:
Autoritativ
Wärme + klare Grenzen
- Versteht, dass Dazwischenreden oft keine Absicht ist
- Erklärt ruhig, warum Warten wichtig ist
- Übt Impulskontrolle spielerisch zu Hause
- Belohnt positives Verhalten (Warten)
- Kommuniziert mit der Schule über Strategien
- Sucht bei Bedarf nach Ursachen (ADHS-Diagnostik)
- Bleibt konsequent, aber liebevoll
→ Kind lernt langsam Selbstkontrolle in einem unterstützenden Rahmen.
Autoritär
Strenge + wenig Emotionen
- Reagiert mit Strafen und Schimpfen
- Sieht das Verhalten als Ungehorsam
- Droht mit Konsequenzen
- Wenig Verständnis für Entwicklung oder ADHS
- Erwartet sofortige Verhaltensänderung
→ Kind fühlt sich 'schlecht', Verhalten ändert sich nicht nachhaltig.
Permissiv
Viel Wärme, wenige Grenzen
- Entschuldigt das Verhalten: 'Er ist halt so'
- Setzt keine klaren Grenzen
- Übt keine Alternativen
- Verteidigt das Kind gegen die Schule
→ Kind lernt keine Selbstkontrolle, Probleme in der Schule wachsen.
Laissez-faire
Wenig Struktur, wenig Führung
- Bemerkt das Problem nicht oder ignoriert es
- Reagiert erst bei starken Beschwerden der Schule
- Keine aktive Unterstützung oder Übung
→ Kind ist allein mit der Herausforderung, Probleme verschärfen sich.
Strategien für bessere Impulskontrolle
So hilfst du deinem Kind, Impulse zu kontrollieren:
Verstehen statt verurteilen
Erkenne an, dass Dazwischenreden oft keine böse Absicht ist. Bei jüngeren Kindern ist die Impulskontrolle noch nicht ausgereift. Zeige Verständnis: 'Ich weiß, dass es schwer ist zu warten.'
💡 Verstehen heißt nicht gutheißen – du kannst trotzdem Grenzen setzen.
Regeln klar machen
Erkläre ruhig, warum Warten wichtig ist: 'Wenn alle durcheinanderreden, kann niemand lernen. Wenn du wartest und dich meldest, sehen dich alle.' Klare, logische Begründung.
💡 Kurz und einfach – nicht predigen.
Alternative geben
Statt nur 'Rede nicht dazwischen!' sage: 'Wenn du etwas sagen willst, hebe die Hand.' Zeige dem Kind, was es stattdessen tun soll.
💡 Positiv formulieren: Was es tun soll, nicht nur was nicht.
Zu Hause üben
Spielt Spiele, die Warten erfordern: Brettspiele mit Reihum, 'Stopp'-Spiele, 'Wer hält länger still'. So trainiert das Kind Impulskontrolle spielerisch.
💡 Das Gehirn lernt durch Wiederholung – regelmäßiges Üben hilft.
Geheime Signale
Vereinbare mit dem Kind ein Signal, das es erinnert: Wenn die Hand auf der Schulter liegt, bedeutet das 'Warte noch'. Oder ein Code-Wort. Das funktioniert auch mit dem Lehrer.
💡 Das Signal sollte diskret sein, um das Kind nicht zu beschämen.
Positives Verhalten verstärken
Lobe ausdrücklich, wenn das Kind wartet: 'Das war toll, dass du gewartet hast!' Positive Verstärkung wirkt besser als Strafe.
💡 Belohnungssystem: Punkte sammeln für jedes Mal, wo das Kind erfolgreich wartet.
Selbstgespräche üben
Bring dem Kind bei, innerlich zu sagen: 'Stopp, erst melden!' oder 'Ich kann warten.' Selbstinstruktion hilft bei der Impulskontrolle.
💡 Übt das gemeinsam: Du sagst es laut vor, dann sagt das Kind es leise, dann nur noch im Kopf.
Mit der Schule zusammenarbeiten
Sprich mit dem Lehrer. Gemeinsame Strategien sind wirksamer. Vielleicht kann der Lehrer das Kind früh drannehmen, ein Signal nutzen, oder Verständnis zeigen.
💡 Frag nach konkreten Maßnahmen und stimme sie ab.
Bei Verdacht auf ADHS: Diagnostik
Wenn Dazwischenreden sehr stark, dauerhaft und von anderen Symptomen begleitet ist (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit), erwäge eine ADHS-Diagnostik. Das ist keine Stigmatisierung, sondern der Weg zu passender Hilfe.
💡 ADHS ist gut behandelbar – frühes Erkennen hilft.
Die 'Stopp-Denken-Handeln' Methode
Eine einfache Technik für Kinder: 1. STOPP – Halte an, bevor du etwas sagst 2. DENKEN – Ist das gerade der richtige Moment? 3. HANDELN – Wenn ja: sagen. Wenn nein: melden oder warten. Übt das zu Hause in spielerischen Situationen, bis es zur Gewohnheit wird.
Hilfreiche Sätze
Diese Formulierungen helfen:
- ✓'Ich weiß, dass es schwer ist zu warten. Das ist eine Fähigkeit, die man üben kann.'
- ✓'Wenn du etwas sagen willst, zeig es mir mit der Hand.'
- ✓'Toll, dass du gewartet hast! Das war nicht einfach.'
- ✓'Lass uns gemeinsam üben, wie du warten kannst.'
- ✓'Dein Gehirn lernt das noch – das ist wie ein Muskel, den man trainieren kann.'
- ✓'Was könntest du tun, wenn du einen Gedanken hast, aber noch warten musst?'
Sätze, die kontraproduktiv sind
Diese Aussagen machen es oft schlimmer:
- ✗'Warum kannst du nie warten?!' – Beschuldigung hilft nicht
- ✗'Andere Kinder schaffen das auch!' – Vergleich demütigt
- ✗'Du bist so unhöflich!' – Charakterurteil
- ✗'Wenn du nochmal dazwischenredest...' – Drohung
- ✗'Du machst das extra!' – Unterstellt böse Absicht
- ✗'Mir ist das so peinlich!' – Beschämt das Kind
Wann ist das Verhalten ein größeres Problem?
Altersgemäß normal
Gelegentliches Dazwischenreden bei jüngeren Kindern (5-8 Jahre), Kind kann mit Erinnerung warten, bessert sich mit der Zeit, keine anderen Auffälligkeiten
Erhöhte Aufmerksamkeit
Häufiges Dazwischenreden trotz Ermahnungen, Problem besteht über längere Zeit, Beschwerden von Lehrern häufen sich, Kind kann auch mit Hilfe schwer warten
Abklärung empfohlen
Dazwischenreden ist extrem ausgeprägt und besteht über Monate, begleitet von anderen ADHS-Symptomen (Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit), Problem besteht in mehreren Lebensbereichen, soziale Beziehungen leiden, Kind leidet unter der Situation
🩺Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Zögere nicht, Unterstützung zu suchen:
- !Das Verhalten ist sehr ausgeprägt und hartnäckig
- !Du vermutest ADHS (Impulsivität + Hyperaktivität + Unaufmerksamkeit)
- !Die sozialen Beziehungen des Kindes leiden
- !Die schulische Situation verschlechtert sich
- !Das Kind leidet unter der Situation
- !Trotz aller Strategien zeigt sich keine Besserung
- !Du bist erschöpft und weißt nicht weiter
Anlaufstellen
Bei ADHS-Verdacht: - Kinderarzt (erste Anlaufstelle) - SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) - Kinder- und Jugendpsychiater Für Verhaltensstrategien: - Ergotherapie - Erziehungsberatung In der Schule: - Klassenleitung - Schulpsychologie
Häufig gestellte Fragen
„Impulskontrolle ist wie ein Muskel – er wird durch Übung stärker, nicht durch Kritik.
Wie gehst du mit herausforderndem Verhalten um?
Dein Erziehungsstil beeinflusst, wie du auf störendes Verhalten reagierst. Bestrafst du oder erklärst du? Drängst du oder übst du geduldig? Wenn du deinen Stil kennst, kannst du bewusster handeln.
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