Kind wirft Sachen durch die Gegend – Warum es das tut und wie du richtig reagierst
Das Spielzeug fliegt gegen die Wand. Der Teller landet auf dem Boden. Die Bauklötze werden quer durchs Zimmer geschleudert. Wenn Kinder Sachen werfen, kann das verschiedene Gründe haben – von normaler Entwicklung über Frustration bis hin zu Aufmerksamkeitssuche. Das Verständnis für das 'Warum' ist der Schlüssel zur richtigen Reaktion.
In diesem Artikel erfährst du:
- 1Warum Kinder Sachen werfen – alle möglichen Gründe
- 2Was im Gehirn passiert und warum Impulskontrolle Zeit braucht
- 3Der Unterschied zwischen Experimentieren, Frustration und Aggression
- 4Wie die 4 Erziehungsstile unterschiedlich reagieren
- 5Konkrete Strategien für verschiedene Altersgruppen
- 6Wann das Verhalten ein Warnsignal ist
Warum werfen Kinder Sachen?
Bei Babys und Kleinkindern (unter 2 Jahren):
Werfen ist hier oft reines Experimentieren. Das Kind entdeckt: 'Wenn ich das loslasse, fällt es. Wenn ich es werfe, fliegt es. Spannend!' Das ist Physik lernen durch Tun – völlig normal und wichtig für die kognitive Entwicklung.
Bei Kleinkindern (2-4 Jahre):
Jetzt kommen Emotionen dazu. Das Kind wirft, weil es frustriert ist, wütend, überreizt oder überfordert. Es hat noch keine anderen Wege, mit diesen Gefühlen umzugehen. Werfen ist ein Ventil.
Bei älteren Kindern (4+ Jahre):
Hier kann Werfen ein Zeichen von Wut sein, aber auch von Aufmerksamkeitssuche, Machtkampf oder Überforderung. Das Kind weiß meist, dass es nicht okay ist – kann aber den Impuls nicht stoppen.
Zwei Perspektiven auf werfen
Um das Verhalten zu verstehen, hilft es, beide Seiten zu betrachten:
Was dein Kind möglicherweise erlebt:
- Experimentierfreude: Wie fliegt das? Was macht es für ein Geräusch?
- Überwältigende Gefühle, die ein Ventil brauchen
- Frust: Etwas klappt nicht wie gewünscht
- Machtgefühl: 'Ich kann etwas bewirken!'
- Überstimulation: Zu viel Input, zu wenig Kontrolle
Was du als Elternteil erlebst:
- Sorge: Geht etwas kaputt? Verletzt sich jemand?
- Ärger: 'Das Kind sollte es besser wissen'
- Frustration bei ständiger Wiederholung
- Scham, besonders wenn es in der Öffentlichkeit passiert
- Erschöpfung durch ständiges Aufsammeln und Korrigieren
💡Werfen ist bei kleinen Kindern selten 'böse Absicht'. Es ist entweder Entwicklung, Kommunikation oder ein unreifes Gehirn, das noch keine besseren Wege kennt.
Was im Gehirn passiert – warum Kinder werfen 'müssen'
Was das bedeutet:
Wenn dein Kind wütend oder frustriert ist, übernimmt das limbische System (Emotionszentrum) die Kontrolle. Der Impuls 'werfen!' kommt – und bevor das Kind darüber nachdenken kann, ist der Gegenstand schon in der Luft.
Der Impuls-Kreislauf:
1. Auslöser (Frust, Wut, Langeweile)
2. Impuls entsteht: 'Werfen!'
3. Bei unreifem Gehirn: Handlung erfolgt sofort
4. Erst DANACH: Realisierung, was passiert ist
Deshalb hilft 'Denk vorher nach!' bei kleinen Kindern nicht – sie KÖNNEN nicht vorher nachdenken. Die Fähigkeit entwickelt sich erst mit der Zeit und mit viel Übung.
Die gute Nachricht:
Jedes Mal, wenn du dein Kind dabei unterstützt, den Impuls anders auszudrücken, stärkst du die neuronalen Verbindungen im präfrontalen Kortex. Du hilfst seinem Gehirn buchstäblich, zu reifen.
Entwicklung vs. Verhalten
Ein 18 Monate altes Kind, das den Löffel vom Hochstuhl wirft, experimentiert. Ein 4-Jähriger, der im Wutanfall das Spielzeug gegen die Wand wirft, drückt Überforderung aus. Die Reaktion muss unterschiedlich sein: Beim Baby lenken wir um, beim älteren Kind helfen wir bei der Emotionsregulation.
Die verschiedenen Arten des Werfens
Um richtig zu reagieren, ist es hilfreich zu unterscheiden, welche Art von Werfen vorliegt:
- •Exploratives Werfen: Kind erkundet Physik – wie fliegt das? (normal bei Babys/Kleinkindern)
- •Sensory-Seeking: Kind braucht propriozeptiven Input, tiefe Druckempfindung
- •Frustrationswerfen: Etwas klappt nicht, Kind ist überfordert
- •Wutwerfen: Emotionale Überlastung, Ventil für große Gefühle
- •Aufmerksamkeitswerfen: Kind will Reaktion – auch negative
- •Kommunikationswerfen: Besonders bei Kindern mit Sprachverzögerung
- •Provozierendes Werfen: Kind testet Grenzen, will Reaktion
- •Überstimuliertes Werfen: Zu viele Reize, Kind braucht Abbau
💡Die gleiche Handlung kann verschiedene Ursachen haben. Beobachte: Was kam vorher? Wie sieht das Kind aus?
Typische Auslöser für werfen
Hunger, Müdigkeit, beginnende Krankheit oder Reizüberflutung können den Werfe-Impuls verstärken. Ein Kind am Ende seiner Ressourcen hat weniger Kontrolle.
Emotionale Auslöser:
Frustration (Turm fällt um), Wut (Spielzeug wird weggenommen), Eifersucht (Geschwister), Langeweile oder das Gefühl, nicht gehört zu werden.
Umgebungsfaktoren:
Übergänge (von Spielen zu Aufräumen), zu viele Regeln, zu wenig Bewegungsmöglichkeiten, oder ein Umfeld, das nicht kindgerecht ist.
Entwicklungsphasen:
Besonders in der Autonomiephase (2-3 Jahre) und bei großen Entwicklungssprüngen nimmt impulsives Verhalten oft zu.
Typische Fehler beim Umgang mit werfen
Diese Reaktionen sind menschlich, können das Verhalten aber verstärken:
- ✗Laut werden: Das Kind bekommt intensive Aufmerksamkeit – genau das, was es wollte
- ✗Lange Erklärungen: Kind kann sie im emotionalen Moment nicht verarbeiten
- ✗Leere Drohungen: 'Wenn du noch einmal...' ohne Konsequenz
- ✗Beschämen: 'Du bist unmöglich!' – greift den Selbstwert an
- ✗Ignorieren von gefährlichem Werfen: Sicherheit geht immer vor
- ✗Überreagieren bei Baby-Werfen: Experimentieren ist normal
- ✗Konsequenzen für entwicklungsbedingtes Verhalten: Baby kann nicht 'gehorchen'
💡Die meisten dieser Reaktionen kommen aus Überforderung – sei auch mit dir selbst geduldig.
Der Schlüssel: Altersentsprechend reagieren
Bei einem Baby unter 18 Monaten: Umlenken, alternative Werfmöglichkeit anbieten (Bälle in Korb). Bei Kleinkindern: Gefühle benennen, natürliche Konsequenzen. Bei älteren Kindern: Gefühle validieren, Alternativen zeigen, klare Grenzen halten. Die Reaktion muss zur Entwicklung passen.
Wie die 4 Erziehungsstile auf werfen reagieren
Der Erziehungsstil beeinflusst maßgeblich, wie wir auf dieses Verhalten reagieren – und ob das Kind lernt oder nicht.
Autoritativ
Wärme + klare Grenzen
- Bleibt ruhig und reagiert nicht emotional
- Unterscheidet zwischen Experimentieren und Frustwerfen
- Benennt das Gefühl: 'Du bist wütend. Werfen ist trotzdem nicht okay.'
- Bietet Alternativen: 'Du darfst den Ball werfen, nicht das Auto.'
- Natürliche Konsequenz: 'Du hast geworfen, jetzt räumst du auf.'
- Hilft bei Emotionsregulation: 'Was könntest du stattdessen tun?'
- Gibt positive Aufmerksamkeit für nicht-werfen
→ Kind lernt: Meine Gefühle sind okay, aber es gibt bessere Wege als Werfen. Grenzen sind klar und werden gehalten.
Autoritär
Strenge + wenig Emotionen
- Reagiert mit Bestrafung und Strenge
- Fokus auf Gehorsam: 'Man wirft nicht!'
- Wenig Verständnis für Entwicklung oder Gefühle dahinter
- Drohungen und Konsequenzen ohne Erklärung
- Kann beschämend reagieren
→ Kind lernt zu unterdrücken statt zu regulieren. Kann heimlich werfen oder später explodieren.
Permissiv
Viel Wärme, wenige Grenzen
- Viel Verständnis, wenig Grenze
- Erklärt lang, warum Werfen nicht gut ist
- Keine oder inkonsequente Konsequenzen
- Räumt selbst auf, um Konflikt zu vermeiden
- Hofft, dass es von alleine aufhört
→ Kind lernt: Werfen hat keine echten Folgen. Verhalten kann sich verstärken.
Laissez-faire
Wenig Struktur, wenig Führung
- Wenig Reaktion überhaupt
- Kind wirft, Eltern schauen kurz, Leben geht weiter
- Keine Hilfe bei Emotionsregulation
- Keine Grenzen, keine Konsequenzen
- Kind bekommt keine Orientierung
→ Kind lernt keine Alternative, fühlt sich allein mit seinen Gefühlen.
⭐Der autoritative Ansatz gibt Kindern das, was sie brauchen: Verständnis für ihre Gefühle UND klare Grenzen für ihr Verhalten. Beides zusammen ermöglicht echtes Lernen.
Was jetzt konkret hilft – Schritt-für-Schritt
Diese Strategie funktioniert für verschiedene Arten des Werfens – passe sie an das Alter deines Kindes an:
Stoppe deine erste Reaktion
Bevor du reagierst, nimm einen Atemzug. Dein Nervensystem ist vermutlich auf Alarm – und in diesem Zustand reagierst du nicht weise. Ein kurzer Moment macht den Unterschied.
💡 Sag dir innerlich: 'Das ist ein Kind mit unreifem Gehirn, kein Feind.'
Stelle Sicherheit her
Wenn gefährliche Gegenstände geworfen werden oder andere in Gefahr sind: Erst sichern, dann reden. Nimm das gefährliche Objekt weg, bring andere Kinder außer Reichweite.
💡 Sicherheit hat immer Vorrang vor Erziehung.
Erkenne die Art des Werfens
Baby experimentiert? Kleinkind frustriert? Älteres Kind provoziert? Deine Reaktion muss zur Ursache passen. Schau: Was kam vorher? Wie sieht das Kind aus (wütend, neugierig, frustriert)?
💡 Bei Babys: Umlenken. Bei älteren Kindern: Gefühle und Grenzen.
Benenne kurz und klar
Bei älteren Kindern: 'Du hast das Auto geworfen. Das ist nicht okay, weil es kaputt gehen kann.' Kurz, sachlich, ohne Drama. Das Kind weiß dann: Ich habe gesehen, was du getan hast.
💡 Keine Frage ('Warum hast du...?') – Kind weiß es oft selbst nicht.
Validiere das Gefühl
Wenn Frust oder Wut dahinter steckt: 'Du warst richtig wütend, weil der Turm umgefallen ist.' Das ist keine Entschuldigung für das Werfen – aber es zeigt: Ich verstehe dich.
💡 Gefühl validieren ≠ Verhalten erlauben. Beides geht.
Zeige eine Alternative
'Wenn du wütend bist, kannst du auf das Kissen hauen / laut stampfen / zu mir kommen.' Kinder brauchen einen erlaubten Weg für den Impuls. Nur 'Nein' sagen reicht nicht.
💡 Übe die Alternative auch in ruhigen Momenten, nicht nur im Konflikt.
Setze natürliche Konsequenz um
'Du hast geworfen, du räumst auf.' Oder: 'Das Auto wurde geworfen, ich nehme es für heute weg.' Konsequenz ohne Emotion, ohne Drama, ohne Verhandlung.
💡 Natürliche Konsequenzen sind wirksamer als willkürliche Strafen.
Bei Babys: Umlenken statt bestrafen
Babys können noch nicht verstehen, was 'Nein' bedeutet. Nimm das geworfene Objekt weg und gib etwas, das geworfen werden darf: weiche Bälle, Stofftiere in einen Korb.
💡 Sage freundlich: 'Bälle dürfen werfen!' während du umlenkst.
Fülle den Bewegungstank
Viele Kinder werfen, weil sie propriozeptiven Input brauchen – das Gefühl von Kraft und Bewegung. Biete Alternativen: Bälle werfen draußen, Kissen werfen, schwere Dinge tragen.
💡 Bewegung vor Situationen, in denen nicht geworfen werden darf.
Nachgespräch führen
Später, wenn alle ruhig sind: 'Was war vorhin los? Was könnten wir nächstes Mal anders machen?' So lernt das Kind, über sein Verhalten nachzudenken.
💡 Bei kleinen Kindern kann ein Bilderbuch über Gefühle helfen.
Langfristige Strategien: Werfen vorbeugen
Kinder, die sich viel bewegen dürfen, werfen weniger aus Überschuss. Plane täglich ausreichend Bewegungszeit ein – draußen, mit Bällen, Klettern, Toben.
Erlaubtes Werfen ermöglichen:
Schaffe Gelegenheiten zum 'legalen' Werfen: Bälle in Körbe, Wasserbomben im Sommer, Sandsäckchen auf Ziele. Der Werfe-Impuls ist natürlich – er braucht nur das richtige Ventil.
Emotionswortschatz aufbauen:
Kinder, die ihre Gefühle benennen können, werfen weniger. Übe im Alltag: 'Du siehst frustriert aus' oder 'Das war ärgerlich, oder?' Je mehr Worte sie haben, desto weniger brauchen sie Taten.
Umgebung anpassen:
Wenn bestimmte Gegenstände immer geworfen werden: Weg damit, zumindest vorübergehend. Es ist keine Niederlage, die Umgebung kindgerecht zu machen.
Übergänge sanfter gestalten:
Viel Werfen passiert bei Übergängen (Spielen → Aufräumen). Kündige an, gib Zeit, mach es spielerisch: 'Wer kann die Autos leise in die Kiste legen?'
Hilfreiche Sätze
Diese Formulierungen helfen im Moment:
- ✓'Das Auto ist zum Spielen, nicht zum Werfen.'
- ✓'Du bist wütend. Werfen ist nicht okay.'
- ✓'Wenn du werfen willst, nimm den Ball.'
- ✓'Du hast geworfen, du räumst auf.'
- ✓'Ich verstehe den Frust. Die Regel bleibt.'
- ✓'Bälle dürfen fliegen, Autos nicht.'
- ✓'Was könntest du stattdessen tun?'
- ✓(Später:) 'Was war vorhin los mit dir?'
Sätze, die du vermeiden solltest
Diese Formulierungen eskalieren oder helfen nicht:
- ✗'Hör sofort auf!' (hilft nicht bei impulsivem Verhalten)
- ✗'Warum machst du das?' (Kind weiß es nicht)
- ✗'Du bist so wild/böse/unmöglich!' (Beschämung)
- ✗'Wenn du noch einmal...' (leere Drohung)
- ✗'Was ist nur los mit dir?' (Beschämung)
- ✗'Ich pack das nicht mehr!' (gibt Macht)
- ✗'Dein Bruder wirft auch nicht!' (Vergleich)
Mini-Check: Ist das noch normal?
Normal / Entwicklungsbedingt
Baby/Kleinkind unter 2 Jahren experimentiert mit Werfen. Ältere Kinder werfen gelegentlich bei Frust. Verhalten lässt sich durch konsequentes Reagieren reduzieren. Keine Verletzungsabsicht.
Erhöhte Aufmerksamkeit nötig
Tägliches, häufiges Werfen trotz konsequentem Umgang. Kind scheint gezielt zu treffen. Werfen auch in Kita/Kindergarten auffällig. Kind ist auch sonst oft aggressiv oder frustriert.
Professionelle Hilfe empfohlen
Kind verletzt absichtlich andere durch Werfen. Extreme Wutausbrüche mit Zerstörung. Keine Besserung über Monate. Kind zeigt keine Reue oder Verbindung. Eltern fühlen sich chronisch überfordert.
🩺Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Es ist keine Schwäche, sich Unterstützung zu holen – im Gegenteil:
- !Das Werfen nimmt trotz konsequentem Verhalten nicht ab
- !Kind verletzt gezielt andere Kinder oder Erwachsene
- !Extreme Zerstörungswut, die über gelegentliches Werfen hinausgeht
- !Kind zeigt keine Reue oder Verbindung nach Vorfällen
- !Auch andere aggressive Verhaltensweisen sind auffällig
- !Verdacht auf sensorische Verarbeitungsprobleme (sucht ständig starke Reize)
- !Verdacht auf ADHS oder Impulskontrollstörung
- !Eltern fühlen sich chronisch überfordert oder reagieren selbst aggressiv
Wo findest du Hilfe?
Erste Anlaufstellen: Kinderarzt/Kinderärztin, Erziehungsberatungsstellen (kostenlos), Frühförderstellen, Ergotherapie (bei sensorischen Themen). Wenn du ADHS oder andere Entwicklungsbesonderheiten vermutest, kann ein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) abklären.
Häufig gestellte Fragen
„Hinter jedem Verhalten steckt ein Bedürfnis. Wenn wir das Bedürfnis verstehen, wird die Lösung oft klar.
Dein Erziehungsstil prägt deine Reaktion
Wie du auf Werfen reagierst – ob du schimpfst, erklärst, oder ruhig Grenzen setzt – hängt stark von deinem Erziehungsstil ab. Dieser ist oft durch die eigene Kindheit geprägt. Wenn du deinen Stil kennst, kannst du bewusst reagieren statt automatisch.
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