Kind teilt nicht in der Kita – Warum das normal ist und wie du helfen kannst
Die Erzieherin berichtet: Dein Kind will nicht teilen. Es hält sein Spielzeug fest, schreit wenn andere Kinder es haben wollen, oder reißt anderen Dinge aus der Hand. Das kann frustrierend sein. Aber die gute Nachricht: Nicht teilen zu wollen ist bei Kleinkindern völlig entwicklungstypisch – und mit der richtigen Begleitung lernen sie es.
In diesem Artikel erfährst du:
- 1Warum Teilen für Kleinkinder so schwer ist
- 2Die Entwicklungspsychologie hinter dem 'MEINS!'
- 3Was wirklich hilft – und was nicht
- 4Wie die 4 Erziehungsstile mit Nicht-Teilen umgehen
- 5Konkrete Strategien für den Alltag
- 6Ab wann Teilen wirklich erwartet werden kann
Warum ist Teilen für Kleinkinder so schwer?
Das Konzept 'Eigentum' entsteht gerade erst:
Mit etwa 18 Monaten entwickeln Kinder ein Verständnis dafür, dass manche Dinge 'ihnen gehören'. Das 'MEINS!' ist ein wichtiger Entwicklungsschritt – das Kind entdeckt sich selbst als eigenständige Person mit eigenem Besitz.
Kein Verständnis von 'Leihen':
Wenn ein Zweijähriges sein Spielzeug weggeben soll, versteht es nicht dass es das Spielzeug zurückbekommt. Für das Kind bedeutet 'geben' = 'weg'. Kein Wunder dass es sich wehrt!
Fehlende Empathie:
Echte Empathie – verstehen wie der andere sich fühlt – entwickelt sich erst ab etwa 4 Jahren. Ein Zweijähriges kann nicht nachvollziehen warum das andere Kind auch das Auto will.
Impulskontrolle noch nicht entwickelt:
Selbst wenn das Kind weiß dass es teilen 'sollte', fehlt ihm die Fähigkeit seinen Impuls ('Das ist MEINS!') zu kontrollieren. Der präfrontale Kortex reift erst in den nächsten Jahren.
Wichtig:
Nicht Teilen ist KEIN Zeichen für schlechte Erziehung oder einen Charakterfehler. Es ist normale Entwicklung.
Zwei Perspektiven auf das Teilen
Um die Situation zu verstehen:
Dein Kind denkt:
- Das ist MEIN Auto! Ich spiele gerade damit!
- Wenn ich es weggebe, ist es weg
- Ich verstehe nicht warum der das auch haben will
- Es ist nicht fair dass ich teilen soll
- Meine Sachen gehören MIR
- Ich war ZUERST da
Erwachsene denken:
- Warum kann mein Kind nicht einfach teilen?
- Das ist doch nicht schwer – gib es kurz her
- Was werden andere von meinem Kind denken?
- Habe ich das Teilen nicht richtig beigebracht?
- Wird mein Kind immer so egoistisch sein?
- Die anderen Kinder teilen doch auch
💡Teilen ist eine komplexe soziale Fähigkeit die Empathie, Impulskontrolle und abstraktes Denken erfordert. All das entwickelt sich erst in den kommenden Jahren. Von einem Zweijährigen freiwilliges Teilen zu erwarten ist wie von einem Dreijährigen Algebra zu erwarten.
Wann können Kinder teilen?
Die Entwicklung des Teilens verläuft in Stufen: 1-2 Jahre: 'MEINS!' ist normal und gesund. 2-3 Jahre: Kind versteht 'abwechseln' ansatzweise. 3-4 Jahre: Beginnendes Teilen, besonders wenn es angeleitet wird. 4-5 Jahre: Freiwilliges Teilen entwickelt sich. 5+ Jahre: Echtes Verständnis von Fairness. Erwarte von deinem Zweijährigen nicht was ein Fünfjähriges kann!
Typische Fehler beim Thema Teilen
Diese gut gemeinten Ansätze helfen nicht – und können sogar schaden:
- ✗Teilen erzwingen: Dem Kind das Spielzeug wegnehmen und dem anderen geben lehrt: Der Stärkere gewinnt
- ✗Beschämen: 'Du bist aber geizig!' verletzt das Selbstbild
- ✗Immer nachgeben: 'Okay, dann behalt es halt' gibt keine Orientierung
- ✗Für das Kind teilen: Statt mit dem Kind einen Weg zu finden
- ✗Übermäßig loben: 'Du bist SO lieb!' wenn das Kind teilt – Teilen sollte normal werden, nicht heroisch
- ✗Zu viel erwarten: Denken ein Zweijähriges könnte freiwillig teilen
- ✗Strafen: Konsequenzen für Nicht-Teilen erhöhen den Stress
Was stattdessen hilft: Die 'Es kommt zurück'-Erfahrung
Das Konzept 'Leihen' einführen:
'Du gibst Max das Auto für 5 Minuten, dann bekommst du es zurück.' Und dann – wichtig! – tatsächlich darauf achten dass das Kind es zurückbekommt. So lernt es: Ich kriege es wieder.
Timer nutzen:
Ein sichtbarer Timer macht die Zeit konkret. 'Wenn der Timer piept, bekommst du das Auto zurück.' Das gibt Sicherheit.
Abwechseln statt Teilen:
'Teilen' ist abstrakt. 'Erst du, dann er' ist konkret. Übe Abwechseln – das ist der Vorläufer von Teilen.
Die Erfahrung machen lassen:
Wenn dein Kind erfährt dass andere auch mit ihm teilen, lernt es den Wert davon. 'Schau, Lisa hat dir ihr Puzzle gegeben. Das war nett!'
Modell sein:
Zeig deinem Kind wie du teilst. 'Ich teile meine Kekse mit Papa. Möchtest du auch einen?'
Wie die 4 Erziehungsstile mit Nicht-Teilen umgehen
Dein Erziehungsstil prägt wie du reagierst:
Autoritativ
Wärme + klare Grenzen
- Versteht dass Nicht-Teilen entwicklungstypisch ist
- Begleitet die Situation: 'Du spielst gerade damit. Max möchte auch. Was können wir machen?'
- Führt das Konzept 'Abwechseln' ein mit Timer
- Erlaubt dem Kind bestimmte Dinge NICHT zu teilen ('Das ist deins, das musst du nicht teilen')
- Modelt selber Teilen vor
- Lobt wenn Teilen klappt, ohne zu übertreiben
- Hat realistische Erwartungen fürs Alter
→ Kind lernt Teilen als positive Erfahrung, ohne Zwang, in seinem Tempo.
Autoritär
Strenge + wenig Emotionen
- Erwartet dass das Kind teilt – sofort
- Nimmt dem Kind das Spielzeug weg und gibt es dem anderen
- Schimpft: 'Das macht man nicht! Teilen!'
- Wenig Verständnis für Entwicklung
- Beschämt das Kind vor anderen
→ Kind lernt: Teilen ist unangenehm. Kann Widerstand verstärken oder zu verstecktem Nicht-Teilen führen.
Permissiv
Viel Wärme, wenige Grenzen
- Sagt nur sanft 'Man sollte teilen' aber ohne Follow-through
- Gibt nach wenn das Kind protestiert
- Entschuldigt das Verhalten ('Er ist halt noch klein')
- Keine klare Führung in der Situation
- Kind lernt: Protest führt zum Erfolg
→ Kind bekommt keine Gelegenheit Teilen zu üben. Konflikt wird vermieden statt begleitet.
Laissez-faire
Wenig Struktur, wenig Führung
- Lässt die Kinder den Konflikt allein lösen
- Greift nicht ein
- Keine aktive Begleitung des Lernprozesses
- Kind bekommt keine Hilfe mit der sozialen Situation
- Konflikte eskalieren möglicherweise
→ Kind lernt nicht wie man soziale Situationen navigiert.
So begleitest du das Nicht-Teilen – Schritt für Schritt
Diese Strategien helfen deinem Kind Teilen zu lernen:
Hab realistische Erwartungen
Ein Zweijähriges das nicht teilen will, ist normal. Erwarte nicht zu viel zu früh. Teilen lernen dauert Jahre, nicht Wochen.
💡 Frag dich: Ist meine Erwartung altersgerecht?
Erlaube 'Besondere Sachen'
Es ist okay, dass manche Spielsachen nur deinem Kind gehören und nicht geteilt werden müssen. Das stärkt das Gefühl von Eigentum und Sicherheit.
💡 Zu Hause: 'Das ist dein Kuscheltier, das muss niemand sonst haben.'
Führe 'Abwechseln' ein
'Teilen' ist abstrakt. 'Erst du, dann er' ist konkret. Übe Abwechseln mit Timer: '3 Minuten du, dann 3 Minuten Max.'
💡 Ein Sand-Timer ist für Kinder besser sichtbar als ein digitaler.
Benenne Gefühle
'Du möchtest das Auto behalten. Max möchte es auch haben. Das ist schwierig.' Wenn Gefühle benannt werden, können sie verarbeitet werden.
💡 Erst validieren, dann zur Lösung kommen.
Biete Lösungen an
Statt zu sagen 'Teilt euch das!': 'Was können wir machen? Max könnte so lange mit dem Bagger spielen, oder ihr baut zusammen?'
💡 Je älter das Kind, desto mehr kann es selbst Lösungen finden.
Garantiere dass es zurückkommt
Wenn dein Kind etwas hergibt, sorge dafür dass es zurückkommt. So lernt es: Weggeben heißt nicht Verlieren.
💡 Stell den Timer und bring das Spielzeug aktiv zurück.
Model Teilen vor
Zeig deinem Kind wie du teilst: 'Ich teile meinen Apfel mit dir. Möchtest du ein Stück?' Kinder lernen durch Beobachtung.
💡 Kommentiere dein eigenes Teilen: 'Ich gebe Oma die Hälfte von meinem Kuchen.'
Feiere Erfolge (ohne zu übertreiben)
Wenn dein Kind teilt: 'Du hast Max das Auto gegeben, jetzt spielt ihr zusammen!' Nicht: 'Du bist SO ein GUTES Kind!'
💡 Beschreibe was passiert ist, statt zu bewerten.
Was du zu Hause üben kannst
Abwechseln üben:
Spielt zu Hause Spiele bei denen man abwechselt: Ball hin und her werfen, Türme bauen (einer setzt, der andere setzt).
Teilen mit der Familie:
Teile bewusst vor deinem Kind: Kekse aufteilen, Pizza verteilen. Lass dein Kind dabei helfen.
Bilderbücher:
Bücher über Teilen und Freundschaft können Gespräche anstoßen.
Rollenspiele:
Mit Stofftieren Situationen nachspielen: 'Der Bär will den Ball. Was kann der Hase machen?'
Beim Playdate vorbereiten:
Bevor ein anderes Kind kommt: 'Was können wir zusammen spielen? Was möchtest du teilen, was nicht?'
Wann ist Nicht-Teilen noch normal?
Normale Entwicklung
Kind unter 4 Jahren will nicht teilen – das ist altersgemäß. Kind lernt langsam abzuwechseln. Es gibt Situationen in denen Teilen klappt. Kind reagiert auf Anleitung.
Erhöhte Aufmerksamkeit
Kind über 4-5 Jahren zeigt keinerlei Bereitschaft zu teilen. Konflikte eskalieren häufig und stark. Kind reagiert nicht auf Begleitung und Anleitung. Andere soziale Schwierigkeiten kommen dazu.
Professionelle Beratung empfohlen
Extreme Reaktionen bei Nicht-Teilen (Aggression, Zerstörung). Weitere Entwicklungsauffälligkeiten. Kind scheint kein Konzept von 'anderen' zu haben. Deutlich verzögerte soziale Entwicklung.
🩺Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Selten braucht es bei Teilen-Themen professionelle Hilfe, aber manchmal schon:
- !Kind zeigt auch mit 5+ Jahren keinerlei Ansätze zu teilen
- !Extreme Reaktionen auf Teilen-Anforderungen
- !Weitere soziale oder Entwicklungsauffälligkeiten
- !Die Situation belastet das Kind oder die Familie stark
- !Andere Kinder meiden dein Kind wegen des Verhaltens
Häufig gestellte Fragen
„Teilen zu fordern ist so wie Liebe zu fordern – es funktioniert nicht. Teilen muss aus dem Kind heraus wachsen, durch positive Erfahrungen und eine reifende Fähigkeit zur Empathie.
Wie gehst du mit Teilen-Konflikten um?
Dein Erziehungsstil prägt ob du zwingst oder begleitest, ob du Druck machst oder Geduld hast. Finde heraus welcher Stil dich prägt.
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