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Kita👶 1-4 Jahre📖 17 Min. Lesezeit

Kind haut andere Kinder in der Kita – Ursachen verstehen und liebevoll begleiten

Die Erzieherin ruft an: Dein Kind hat heute wieder gehauen. Du bist frustriert, besorgt, vielleicht auch beschämt. Warum tut mein Kind das? Habe ich in der Erziehung versagt? Die beruhigende Nachricht: Hauen bei Kleinkindern ist entwicklungsbedingt normal – und mit der richtigen Begleitung wächst sich das aus.

In diesem Artikel erfährst du:

  • 1Warum Kleinkinder hauen – die Entwicklungspsychologie dahinter
  • 2Was im Gehirn deines Kindes passiert wenn es haut
  • 3Typische Auslöser für das Hauverhalten
  • 4Wie die 4 Erziehungsstile mit Hauen umgehen
  • 5Konkrete Strategien um das Hauen zu reduzieren
  • 6Wann das Hauen ein Warnsignal ist

Warum hauen Kleinkinder?

Hauen ist bei Kleinkindern keine böse Absicht – es ist ein Zeichen dafür, dass das Gehirn noch reift.

Das unreife Gehirn:
Der präfrontale Kortex – der Teil des Gehirns, der für Impulskontrolle, Empathie und vorausschauendes Denken zuständig ist – ist bei Kleinkindern noch nicht ausgereift. Das dauert bis ins junge Erwachsenenalter! Ein Zweijähriger kann seine Impulse neurobiologisch nicht so kontrollieren wie ein Erwachsener.

Kommunikation ohne Worte:
Kleinkinder haben noch nicht genug Sprache, um ihre Bedürfnisse und Gefühle auszudrücken. Wenn die Worte fehlen, bleibt der Körper: Hauen, Beißen, Schubsen sind primitive Kommunikationsformen, die sagen: 'Ich will das!', 'Geh weg!', 'Das ist meins!'

Überwältigung durch Emotionen:
Kleine Kinder werden von ihren Emotionen regelrecht überflutet. Wut, Frustration, Überstimulation – all das kann zu körperlichen Reaktionen führen, weil das Kind noch keine anderen Strategien hat.

Keine echte Empathie:
Echte Empathie – die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen – entwickelt sich erst ab etwa 3-4 Jahren. Ein Zweijähriger versteht nicht wirklich, dass sein Hauen dem anderen Kind wehtut.

Zwei Welten treffen aufeinander

Um das Hauen zu verstehen, schauen wir auf beide Perspektiven:

Dein Kind erlebt:

  • Das andere Kind hat mir mein Spielzeug weggenommen!
  • Ich bin so wütend, ich platze gleich
  • Ich weiß nicht wie ich sagen soll was ich will
  • Es ist so laut hier, ich bin überfordert
  • Hauen hat beim letzten Mal funktioniert
  • Ich verstehe nicht warum alle so reagieren

Du als Elternteil denkst:

  • Warum tut mein Kind das?
  • Was denken die anderen Eltern über uns?
  • Habe ich bei der Erziehung versagt?
  • Wird mein Kind ausgegrenzt werden?
  • Wie soll ich das abstellen?
  • Ist das noch normal oder ein Problemverhalten?

💡Ein Kind das haut ist kein 'böses' Kind. Es ist ein Kind, dessen Gehirn noch reift und das noch keine besseren Strategien für seine Gefühle hat. Deine Aufgabe ist es, ihm diese Strategien zu zeigen – nicht es zu bestrafen.

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Die Entwicklung der Impulskontrolle

Impulskontrolle ist keine Fähigkeit, die Kinder von heute auf morgen haben. Sie entwickelt sich langsam: Mit 2 Jahren ist Impulskontrolle kaum vorhanden. Mit 3-4 Jahren entstehen erste Ansätze. Mit 5-6 Jahren wird sie besser. Vollständig entwickelt ist sie erst im jungen Erwachsenenalter! Hauen bei einem Zweijährigen ist also kein Erziehungsversagen – es ist Neurobiologie.

Typische Auslöser für das Hauen

Diese Situationen führen häufig zum Hauen:

  • Frustration: Etwas klappt nicht, ein Spielzeug wird weggenommen
  • Überstimulation: Zu viel Lärm, zu viele Reize, zu lang in der Kita
  • Müdigkeit und Hunger: Grundbedürfnisse nicht gedeckt
  • Sprachliche Überforderung: Kind kann nicht sagen was es will
  • Verteidigung: Kind fühlt sich bedroht oder bedrängt
  • Neugier: Manche Kinder testen was passiert wenn sie hauen
  • Suche nach Aufmerksamkeit: Auch negative Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit
  • Nachahmung: Kind hat Hauen bei anderen gesehen

Was im Moment des Hauens passiert

Um das Hauen zu verstehen, hilft ein Blick auf das Gehirn im Moment des Geschehens:

Das Stress-System aktiviert sich:
Wenn dein Kind frustriert oder wütend wird, aktiviert sich die Amygdala – das Alarmzentrum des Gehirns. Stresshormone werden ausgeschüttet. Der Körper geht in den Kampf-oder-Flucht-Modus.

Der 'Deckel klappt':
Der Hirnforscher Dan Siegel nutzt das Bild vom 'Deckel der klappt': Wenn starke Emotionen das limbische System (den emotionalen Teil) übernehmen, ist der präfrontale Kortex (der denkende Teil) nicht mehr erreichbar. Das Kind kann in diesem Moment nicht rational denken.

Die Handlung ist schneller als das Denken:
Bei Kleinkindern ist die Verbindung zwischen Impuls und Handlung sehr kurz. Da ist keine Pause für 'Soll ich hauen oder nicht?' – der Impuls führt direkt zur Handlung.

Nach dem Hauen:
Viele Kinder sind selbst erschrocken über ihre Handlung. Sie verstehen nicht richtig, was passiert ist. Manche weinen, manche schauen verwirrt. Das zeigt: Es war keine geplante, 'böse' Aktion.

Typische Fehler wenn das Kind haut

Diese Reaktionen helfen nicht – auch wenn sie gut gemeint sind:

  • Zurückhauen ('Damit du weißt wie das ist'): Zeigt dem Kind: Hauen ist eine Lösung
  • Anschreien: Kind kann in dem Moment nicht rational aufnehmen
  • Lange Vorträge: Überfordern das Kind und erreichen es nicht
  • Scham erzeugen ('Du böses Kind'): Beschädigt das Selbstbild
  • Ignorieren: Kind braucht Hilfe mit seinen Gefühlen
  • Übermäßige Aufmerksamkeit: Kann Hauen verstärken wenn es Aufmerksamkeit bringt
  • Bestrafen ohne Erklärung: Kind versteht nicht was es anders machen soll

Wie die 4 Erziehungsstile mit Hauen umgehen

Dein Erziehungsstil prägt deine Reaktion auf das Hauverhalten:

Empfohlen
🌿

Autoritativ

Wärme + klare Grenzen

  • Stoppt das Hauen klar aber ohne Aggression: 'Stopp, ich lasse nicht zu dass du haust'
  • Bleibt ruhig und reguliert sich selbst
  • Benennt das Gefühl: 'Du bist wütend weil Max dein Spielzeug hat'
  • Zeigt Alternative: 'Du kannst sagen: Das ist meins!'
  • Tröstet das andere Kind und bindet das eigene Kind ein
  • Bespricht die Situation später noch einmal
  • Sucht nach Mustern und Auslösern

→ Kind lernt: Meine Gefühle sind okay, aber Hauen ist es nicht. Es gibt andere Wege. Beste Basis für soziale Kompetenz.

🏛️

Autoritär

Strenge + wenig Emotionen

  • Schimpft laut oder bestraft das Kind
  • Fokussiert auf das Fehlverhalten: 'So was macht man nicht!'
  • Wenig Interesse an den Gefühlen dahinter
  • Droht mit Konsequenzen
  • Möglicherweise körperliche Strafe ('Dann weißt du wie das ist')

→ Kind unterdrückt das Verhalten aus Angst, lernt aber keine Alternative. Aggression kann sich anders äußern oder verstärken.

☀️

Permissiv

Viel Wärme, wenige Grenzen

  • Entschuldigt das Verhalten ('Er ist halt noch klein')
  • Keine klare Grenze: 'Das macht man nicht, Schatz'
  • Lenkt ab statt zu adressieren
  • Übernimmt keine Führung in der Situation
  • Kind bekommt keine Orientierung

→ Kind lernt nicht, dass Hauen nicht okay ist. Das Verhalten kann sich verstärken.

🍃

Laissez-faire

Wenig Struktur, wenig Führung

  • Reagiert kaum auf das Hauen
  • Überlässt die Situation sich selbst
  • Keine Begleitung der Emotionen
  • Kind bekommt keine Hilfe bei der Regulation
  • Andere Kinder werden nicht geschützt

→ Kind ist orientierungslos und bekommt keine Hilfe, seine Impulse zu regulieren.

So reagierst du richtig wenn dein Kind haut – Schritt für Schritt

Diese Strategie hilft in der akuten Situation und langfristig:

1

Stoppe das Hauen sofort und klar

Geh dazwischen, nimm die Hand deines Kindes, sag klar: 'Stopp. Ich lasse nicht zu, dass du haust.' Kein Schreien, keine langen Erklärungen – erst mal die Handlung stoppen.

💡 Geh auf Augenhöhe deines Kindes, halte Blickkontakt.

2

Sorge zuerst für das andere Kind

Das gehaute Kind braucht Trost. Zeig deinem Kind, dass du dich um den anderen kümmerst: 'Lisa hat Aua. Ich tröste sie.' Das ist auch eine wichtige Lektion.

💡 Lass dein Kind dabei sein – es lernt Empathie durch Beobachtung.

3

Benenne das Gefühl deines Kindes

Dein Kind hat gehauen, weil ein Gefühl zu stark war. Benenne es: 'Du warst wütend, weil Max dein Spielzeug genommen hat.' Das hilft dem Kind, seine Gefühle zu verstehen.

💡 Du kannst raten: 'Warst du wütend?' Das Kind wird reagieren wenn du richtig liegst.

4

Erkläre kurz warum Hauen nicht okay ist

Kurz und einfach: 'Hauen tut weh. Wir hauen nicht.' Keine langen Vorträge – Kleinkinder können die nicht verarbeiten.

💡 Der gleiche Satz jedes Mal gibt Orientierung.

5

Zeige eine Alternative

Das Kind braucht etwas anderes, das es TUN kann: 'Wenn du wütend bist, sag STOPP! Oder komm zu mir.' Übe diese Alternative auch im Alltag.

💡 Alternativen: Auf den Boden stampfen, 'Stopp!' rufen, zu einem Erwachsenen gehen.

6

Hilf bei der Wiedergutmachung

Wenn dein Kind bereit ist, kann es dem anderen Kind helfen: 'Möchtest du Lisa ein Pflaster bringen?' Nicht zwingen, aber anbieten.

💡 Erzwungene Entschuldigung ist nicht aufrichtig. Besser: Tröst-Handlung.

7

Reflektiere später

Wenn alle ruhig sind, sprich noch einmal über die Situation. Was ist passiert? Was hättest du anders machen können? Übt die Alternative.

💡 Bilderbücher über Wut und Konflikte helfen beim Verstehen.

8

Arbeite an der Prävention

Was sind die Auslöser? Müdigkeit? Überstimulation? Bestimmte Kinder? Bestimmte Situationen? Versuche Muster zu erkennen und vorzubeugen.

💡 Ein Tagebuch kann helfen: Wann haut dein Kind? Was war vorher?

9

Stärke die emotionale Kompetenz

Zu Hause: Sprich über Gefühle, benenne sie, lies Bücher darüber. Je mehr Worte dein Kind für seine Gefühle hat, desto weniger muss es hauen.

💡 'Du bist frustriert', 'Du bist aufgeregt', 'Du bist enttäuscht' – erweitere den Gefühlswortschatz.

10

Arbeite mit der Kita zusammen

Sprich mit den Erziehern. Welche Situationen führen zum Hauen? Wie reagieren sie? Einheitliche Strategien helfen dem Kind am meisten.

💡 Frag nach einem gemeinsamen Gespräch zur Abstimmung.

Prävention: So reduzierst du das Hauen langfristig

Neben der Reaktion in der Situation gibt es viel, was du tun kannst um das Hauen zu reduzieren:

Grundbedürfnisse sichern:
Müde, hungrige oder kranke Kinder hauen eher. Sorge für ausreichend Schlaf, regelmäßiges Essen und achte auf Überstimulation.

Sprache fördern:
Je mehr Worte dein Kind hat, desto weniger muss es hauen. Sprich viel mit ihm, erweitere seinen Wortschatz, besonders für Gefühle.

Gefühle benennen:
Benenne Gefühle im Alltag – deine eigenen und die deines Kindes. 'Ich bin gerade frustriert.' 'Du bist aufgeregt.' So lernt das Kind seine Gefühle zu erkennen.

Alternative Strategien üben:
Übe zu Hause, was dein Kind tun kann wenn es wütend wird: Auf den Boden stampfen, 'Stopp!' rufen, tief atmen. Macht ein Spiel daraus.

Konfliktsituationen vorwegnehmen:
Wenn du weißt, dass dein Kind in bestimmten Situationen haut, bereite es vor: 'Wenn Max dein Spielzeug will, kannst du sagen: Ich spiele noch damit.'

Vorbild sein:
Zeig deinem Kind, wie du mit deiner eigenen Wut umgehst. 'Ich bin gerade wütend. Ich atme tief durch.'

Wann ist Hauen noch normal?

🟢

Entwicklungstypisches Hauen

Kind haut gelegentlich in Konfliktsituationen, besonders bei Frustration oder Überforderung. Das Hauen nimmt über Monate langsam ab. Kind zeigt auch andere Strategien und reagiert auf Begleitung.

🟡

Erhöhte Aufmerksamkeit

Kind haut sehr häufig (mehrmals täglich), auch ohne erkennbaren Auslöser. Das Verhalten wird nicht weniger trotz Intervention. Kind zeigt kaum Reue oder Empathie für andere. Andere Kinder meiden es.

🔴

Professionelle Beratung empfohlen

Kind zeigt extreme Aggression (verletzt andere ernsthaft). Es gibt weitere Auffälligkeiten (Sprachverzögerung, Entwicklungsauffälligkeiten). Kind scheint keine Bindung zu haben oder ist extrem impulsiv. Belastende Faktoren zu Hause (Gewalt, Trennung, Trauma).

🩺Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist

Manchmal braucht es mehr als Geduld und Strategien:

  • !Das Hauen ist sehr häufig und intensiv
  • !Es gibt keine Besserung trotz konsequenter Begleitung
  • !Kind zeigt keine Reue oder Empathie
  • !Andere Entwicklungsbereiche sind auffällig
  • !Es gibt belastende Faktoren (Gewalt zu Hause, Trauma)
  • !Die Kita erwägt Ausschluss
  • !Andere Kinder werden ernsthaft verletzt
  • !Du selbst bist am Ende deiner Kräfte
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Anlaufstellen für Unterstützung

Bei häufigem Hauen helfen: Kinderarzt (kann Entwicklungsverzögerungen ausschließen), Erziehungsberatungsstelle (kostenlos, oft ohne lange Wartezeit), Frühförderstelle, bei Bedarf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Auch Elternkurse wie 'Starke Eltern – Starke Kinder' können hilfreich sein.

Häufig gestellte Fragen

Ein Kind, das haut, ist kein böses Kind. Es ist ein Kind, dessen Gehirn noch wächst und das unsere Hilfe braucht, nicht unsere Strafe.

Dr. Becky Kennedy(Good Inside)

Wie reagierst du wenn dein Kind haut?

Dein Erziehungsstil prägt deine Reaktion auf aggressives Verhalten. Wirst du laut oder bleibst du ruhig? Bestrafst du oder begleitest du? Finde heraus welcher Stil dich prägt.

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